Autodesign im Wandel der Zeit: Gespräch mit Christopher Reim

von | Mai 12, 2025 | Exklusiv-Interviews | 2 Kommentare

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Vor über 120 Jahren rollten die ersten Fahrzeuge noch als motorisierte Kutschen vom Band – von Design keine Spur. Erst in den 1930ern begannen aerodynamische Formen und elegante Linien das Bild zu prägen. Nach dem Krieg setzten sich die schnörkellosen Pontonformen durch, gefolgt von den opulenten Heckflossen der 50er.

Die 60er brachten klare Linien und erste Keilformen, bevor in den 70ern das Coke-Bottle-Design populär wurde. Die Ölkrise lenkte den Fokus in den 80ern auf Aerodynamik, während die 90er mit Vans und Retro-Wellen neue Trends setzten. Heute verbindet modernes Autodesign Vergangenheit und Zukunft in einer „Neuen Klassik“. Bei uns exklusiv im Interview, Autodesigner Christopher Reim von Reimdesign aus Calw im Nordschwarzwald.

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Kleiner Franzose mit knuffigem Design – Renault Twingo. Bildquelle: art_zzz – stock.adobe.com

SJS-Carstyling-Redaktion: Christopher, welches Autodesign war bzw. ist für dich das „Schönste“ aller Zeiten?

Christopher Reim: Das ist natürlich schwer zu sagen, weil jede Epoche spannende Designs hervorgebracht hat. Mir gefallen insbesondere Autos aus den 1980er- und 1990er-Jahren, etwa der erste Twingo oder ein Porsche 993; bei einem 993er sind die Proportionen genau so, wie sie sein sollten. Wenn ich ein perfektes Auto zeichnen soll, dann wie ein 993er, niedriges Greenhouse (Partie oberhalb der Fensterlinie, Anm. d. Red.), Coke-Bottle-Design, breite Schultern, herausgestellte Kotflügel. Der Twingo ist für mich der Inbegriff für ein praktisches Auto und war insbesondere bei Frauen in den 90ern beliebt – wohl auch wegen des „Babyface-Designs“. Der kleine Renault war eines der ersten Fahrzeuge, die ein „Gesicht“ hatten, VW hat diese Idee dann in den 2000er-Jahren aufgegriffen.

Christopher Reim bei den Classic Days 2025

Christopher Reim in lockerer Pose während den Classic Days 2025 in Berlin. Bildquelle: Christopher Reim

SJS-Carstyling-Redaktion: Du bist selbst großer Classic-Car-Fan und stehst dabei insbesondere auf BMW. Welche Fahrzeuge hast du in deinem Fundus und wieso gefallen dir diese so besonders?

Christopher Reim: Als Zweiräder besitze ich eine Solo 725, eine Herkules City, aus München mehrere 5er BMWs (1988er E34er, 1996er E39 (der mit dem V8 – 4,4 Liter) und ein moderner F11-Touring. Außerdem ein E91 3er-BMW als Daily. Mein besonderer Stolz: Ein umgebauter Opel Corsa A,  gebaut im März 1992 – und damit genau so alt wie ich. Das ist nämlich ein richtiger Rennwagen (Christopher lacht).

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Heck made by Christopher Reim – Flixbus-Doppeldecker. Bildquelle: Anne Czichos – stock.adobe.com

STUDIERT AN EINER DER BESTEN DESIGN-HOCHSCHULEN WELTWEIT

SJS-Carstyling-Redaktion: Du hast Transportation Design in Pforzheim (Baden-Württemberg) studiert (die dortige Hochschule gilt als Kaderschmiede für die weltweit besten Fahrzeugdesigner), bei Porsche, Mercedes-Benz und MAN gearbeitet und dich dann 2015 mit reimdesign selbstständig gemacht. Welche Erfahrungen hast du bei den großen Herstellern gemacht?

Christopher Reim: Natürlich habe ich dort sehr viel erlebt und gemacht, wofür ich sehr dankbar bin. Der Fokus lag auf dem Thema Bus-Design, ich habe zum Beispiel ein LED-Licht bei einem Mercedes-Benz-Bus designt – oder das Heck beim Setra S 531 DT (bekannt als „Doppelstock-Flixbus“, Anm. d. Red.). Die Selbstständigkeit ist mir jedoch lieber, weil ich freier bin in meiner Kreativität. Bei den großen Konzernen spiel zu viel Politik mit rein, bestimmte Vorgaben, außer bei sogenannten Advanced Design-Studien, die landen aber fast nie auf der Straße.

SJS-Carstyling-Redaktion: Was können Kunden von dir bekommen? Machst du auch individuelle Designzeichnungen?

Christopher Reim: Ich biete Automobildesign für kleine Manufakturen und Veredler im Bereich Tuning, Produktdesign und Grafikdesign, aber auch individuelle Kunstwerke für Privatpersonen, die ein kreatives Meisterwerk ihres eigenes Autos ihr Eigen nennen möchten. Bei mir angeklopft haben auch schon ein großer YouTuber oder ein tschechischer Milliardär, der gerne ab und zu mit Rekordgeschwindigkeiten über die Autobahn brettert.

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Auch ein schöner Rücken kann entzücken. Busdesign von Christopher Reim. Bildquelle: Christopher Reim

SJS-Carstyling-Redaktion: Was sind für dich die ikonischsten Autodesigns, hast du da bestimmte Favoriten, insbesondere aus der Oldtimerwelt?

Christopher Reim: Als erstes fällt mir da der Mercedes-Benz 300er SL ein, der erste Stern mit selbsttragender Karosserie und Flügeltüren. Wegen des Gitterrohrrahmens gab es keinen Platz für normale Türen. Auch hier gefallen mir vor allem die Proportionen. Mir gefällt aber auch ein NSU RO 80, ein Fahrzeug, bei dem erstmals der Fokus auf Aerodynamik gelegt wurde.

VORGABE: EINE KUGELSCHREIBERMINE PRO WOCHE

SJS-Carstyling-Redaktion: Was macht für dich gutes Autodesign aus?

Christopher Reim: Wie schon erwähnt, es geht darum, die richtigen Proportionen zu finden, und dafür zu sorgen, dass das Auto Emotionen vermittelt, etwas ausstrahlt. Das geht nur mit Übung, Übung und nochmal Übung. An der Design-Hochschule in Pforzheim war die Vorgabe: Eine Kugelschreibermine pro Woche mit Zeichnen aufzubrauchen und dann die leere Mine zur Vorlesung als Beweis mitbringen.

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Bei Christopher Reim durchgefallen – erste Generation des Nissan Juke. Bildquelle: luca piccini basile – stock.adobe.com

SJS-Carstyling-Redaktion: Gibt es ein paar Beispiele für völlig misslungenes Fahrzeugdesign?

Christopher Reim:  Da fällt mir die erste Generation des Nissan Juke ein, die großen runden Leuchten sagen mir gar nicht zu, auch die Proportionen sind meines Erachtens schwierig; den FIAT Multipla finde ich hingegen gar nicht so schlecht, wie alle immer sagen – er ist anders und eigentlich ziemlich praktisch.

GUTES DESIGN LIEGT IMMER IM AUGE DES BETRACHTERS

SJS-Carstyling-Redaktion: Wer ist für dich der großartigste Autodesigner (Autodesignerin) aller Zeiten und wieso?

Christopher Reim: Bruno Sacco ist schon eine Legende, denn er hat Mercedes-Benz geprägt, wie kein Zweiter, wenn man nur mal an die Baureihe W124 denkt. Und seine Designelemente sind auch heute noch in den neuen Modellen wiederzufinden, ähnlich wie der ikonische Hofmeister-Knick bei BMW.

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Perfekte Proportionen – Porsche 993 / 911 Carrera. Bildquelle: Martin Debus – stock.adobe.com

SJS-Carstyling-Redaktion: Wir sind ja ein Oldtimer-Magazin: Warum wirken klassische Autos oft eleganter als moderne Fahrzeuge?

Christopher Reim: Tja, früher haben sich die Autobauer wohl einfach noch etwas mehr Mühe gegeben. Man sieht das ja an den üppigen Chromleisten oder an den verchromten Stoßstangen, welche US-Fahrzeuge bis heute schmücken. Aber das Ganze ist dann auch eine  Kostenfrage. Eine Chromstoßstange kostet vielleicht 250 EUR in der Herstellung  und eine aus Kunststoff gerade mal 2,50 EUR. Hinzu kommt der Sicherheitsaspekt (Stichwort Fußgängerschutz). Und es gibt auch einen gewissen emotionalen Aspekt, weil viele Leute ihre eigene Kindheit und Jugend mit älteren Automodellen verbinden.

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Chrom in Hülle und Fülle an diesem klassischen US-Car. Bildquelle: Thomas – stock.adobe.com

KOSTENFRAGEN UND SICHERHEIT GEHEN ZU LASTEN DES DESIGNS

SJS-Carstyling-Redaktion: Inwiefern hat sich eigentlich die Farbgebung bei Autos im Lauf der Zeit verändert?

Christopher Reim: Früher waren die Fahrzeuge bunter und heller, auch hier geht es um die Kosten. Schwarzer und weißer Lack ist billiger in der Produktion. Auch das Thema Wiederverkaufswert (insbesondere bei Leasing-Fahrzeugen) spielt eine Rolle. Dabei wirken bestimmte Autos in einer bestimmten Farbgebung viel schöner, da kommen die Proportionen einfach besser raus. Meine Autos sind übrigens alle schwarz, außer der Corsa. Mir gefällt das Understatement. Ich würde sogar einen Ferrari in schwarz kaufen, und nicht in rot oder gelb.

SJS-Carstyling-Redaktion: Gerade sind ja „Retro-Designs“ sehr in Mode, Renault bringt den Renault 5 als Elektroauto wieder auf den Markt, VW baut mit dem Buzz eine sehr moderne Interpretation des Bullis – fällt den heutigen Autodesignern nichts mehr ein? 😉

Christopher Reim: Der Markt verlangt nach Retro-Design, das verkauft sich einfach gut, auch bei Küchenmaschinen oder Kühlschränken. Die Menschen möchten nicht nur ein Produkt besitzen, sondern auch gleich noch ein Gefühl, eine bestimmte Emotion erwerben. Wenn man einen schlechten Tag hatte, kann ein ikonisches Auto als Stimmungsaufheller dienen – es ist dann mehr als einfach nur ein Werkzeug, um mich von A nach B zu bringen.

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Fahrerposition wie in einem Sportwagen – Cab-Under-LKW, designt von Reim. Bildquelle: Christopher Reim

SJS-Carstyling-Redaktion: Aber hast du nicht auch das Gefühl, dass sich heutzutage moderne Fahrzeuge kaum noch unterscheiden lassen? Woran liegt das?

Christopher Reim: Das liegt sehr an der Marktforschung, ein gefälliges Design wird von vielen Kundinnen und Kunden gewünscht – und die Verantwortlichen haben Angst, etwas Gewagtes auszuprobieren. Früher war man da experimentierfreudiger, wenn man nur mal an einen Citroën DS (Die Göttin) denkt zum Beispiel.

SJS-Carstyling-Redaktion: Wie wird sich das Fahrzeugdesign in Zukunft weiterentwickeln und was würdest du dir wünschen?

Christopher Reim: Das Fahrzeugdesign wird immer nach vorne gehen. Ich wünsche mir jedoch mehr Unterscheidung von Seiten der Hersteller, aber auch mehr Experimentierfreude bei der Kundschaft, denn letztendlich ist es die Kundschaft, die entscheidet, welches Fahrzeug in welcher Farbgebung und in welchem Design auf den Markt kommen.

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Klein, aber Oho. Corsa mit Sportwagenfeeling. Bildquelle: Christopher Reim

Wir bedanken uns ganz herzlich für das Interview und wünschen dir, lieber Christopher weiterhin viel Erfolg und alles Gute. Übrigens – geniales Fahrzeugdesign bieten auch diese Auto-Ikonen, die wir in Porträts hier auf Retromanie vorstellen – lesen Sie doch mal rein:


Bildquelle Titelbild: Christopher Reim

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2 Kommentare

  1. Mark Ziegler

    Richtig spannendes Interview! Man merkt, wie viel Leidenschaft Christopher Reim für das Thema mitbringt. Besonders cool finde ich, dass er den ersten Twingo und den Porsche 993 in einem Satz nennt, zwei völlig unterschiedliche Autos, aber beide absolut ikonisch. Und der Hinweis auf die fehlende Experimentierfreude heute trifft’s leider genau. Danke für den tollen Artikel!

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    • Fabian Alber

      Hi Mark, vielen Dank für das Lob – ich leite es an Christopher weiter. Alles Gute und allzeit gute Fahrt!

      Antworten

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